Frau Matthias, sind Sie sicher, dass wir das genau so schon mal behandelt haben?
Multiple Choice Klausuren sind tückisch! Man denkt, man schreibt ein paar schöne Ankreuzaufgaben zusammen, das ist zwar tipp-aufwändig in der Erstellung, aber einfach zu korrigieren (nach ca. 5 Klausuren kennt man sogar das Lösungsmuster auswendig) ... und dann... die Enttäuschung!
Was einem einfach erschien, stellt einen plötzlich vor ungeahnte Probleme.
Hier ist vorab schon mal ein wunderbares Exemplar:
Aufgabe
Welches der folgenden Merkmale gehört nicht zu den Nachteilen der außerbetrieblichen Personalbeschaffung?
- kostenintensive Stellenbesetzung
- keine Betriebskenntnis der Bewerber
- Auswahlmöglichkeiten sind gering
- Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung
Merken Sie etwas? Wer denkt sich so was aus? Jemand, der Schüler/innen nicht leiden kann? Jemand, der möchte, dass möglichst viele die falsche Antwort ankreuzen? Sicher niemand, der einfach nur das Wissen über interne und externe Personalbeschaffung abprüfen will?
Woher bekommt man wirklich relevante Aufgaben für die Schüler/innen?
Für uns Lehrer an Wirtschaftsschulen ist das relativ einfach: Man sammelt alte IHK-Prüfungen. Alternativ gibt der U-Form-Verlag alte Prüfungen einzelner Ausbildungsberufe gesammelt heraus. Und diverse Schulbuchverlage geben ebenfalls Sammlungen alter IHK-Aufgaben in verschiedenen Zusammenstellungen heraus, z.B. der Europa-Verlag oder der Bildungsverlag Eins ... Ich bin sicher, dass auch für allgemeinbildende Fächer MC-Aufgaben auf dem Markt sind. Ich denke da z.B. an die Lernstandserhebungen, die ja ebenfalls im MC-Verfahren stattfinden. Für die Primarstufe habe ich z.B. hier VERA-Aufgaben gefunden.
Und wenn ich meine MC-Aufgaben selbst erstellen will?
... dann ist das sehr engagiert und sollte in jedem Fall mit anderen Kollegen gemeinsam erfolgen, falls Sie nicht die halbe Nacht damit zubringen wollen. Hier habe ich eine schöne Anleitung gefunden: elsa - Leibniz Universität Hannover.
Muss ich jedes Mal 20 neue Fragen abtippen?
Nein, es ist keineswegs notwendig, für jede Klassenarbeit immer wieder 20 neue Fragen zu erstellen. Wichtig ist - wie immer - die Fragen digital und thematisch sortiert abzulegen (also eine Datei für "01_Kaufvertrag", eine für "02_Kaufvertragsstörungen" usw.), sodass man bei der Neuerstellung einer Klausur nur verschiedene alte Fragen mischen muss. Ich tippe außerdem bei jeder Klausur vier neue Fragen ab, um mein Kontingent aktuell zu halten.Warum eigentlich 20 Fragen? Das ist natürlich ganz individuell! Wir haben Klassenarbeiten mit 90 Minuten und ich stelle immer auch noch zwischen zwei und vier offene Fragen und dann lässt sich der Umfang von meinem Schüler/innen noch gut bewältigen.
Was mache ich damit die Schüler/innen nicht abschreiben?
Bei MC ist das Abschreiben natürlich besonders einfach. Nehmen Sie für A und B einfach eine andere Reihenfolge der Aufgaben und schon ist das Problem gelöst. Ein bisschen fies ist es, wenn man A und B nicht auf die Aufgabenblätter schreibt und es auch nicht ankündigt. Aber sehr effektiv, um herauszufinden, wer ein "Abschreiber" ist. Ob Sie das anwenden wollen, müssen Sie für sich selbst und auch in der Situation prüfen.
Wie bewertet man MC-Aufgaben?
Ich gebe grundsätzlich zwei Punkte für eine MC-Aufgabe mit einer richtigen Lösung. Wenn der Schüler nämlich zwei Lösungen ankreuzt statt einer, kann ich noch einen Punkt abziehen. Sind zwei Lösungen richtig, gebe ich vier Punkte aus denselben Gründen. Es ist wichtig für falsche Kreuze Punkte abzuziehen, denn sonst kreuzt der Schüler einfach alle Lösungen an, dann ist die Richtige sicher dabei. Wenn mehr als zwei Lösungen richtig sind, also z.B. bei Zuordnungsaufgaben oder bei Richtig/Falsch-Aufgaben, dann gehe ich durchaus anders vor und überlege, wie viele Punkte mir die Aufgabe wert ist vom Anforderungsniveau her. Dann gebe ich pro Lösung einen halben oder einen Punkt, sodass die Punkte dieser Aufgabe in einer sinnvollen Relation zu den anderen Aufgaben bleiben. Es passiert sonst schnell, dass eine Aufgabe, die auch nicht schwerer ist als eine mit einem Kreuz plötzlich neun Punkte bekommt, was im Verhältnis einfach nicht mehr stimmt. Ich gebe übrigens keine Minuspunkte, wenn der Schüler drei falsche Lösungen angekreuzt hat, obwohl es nur eine richtige gab ;-)). Sie sind auch verboten!
Gibt man die Anzahl der richtigen Lösungen an?
Ich habe es lange nicht gemacht, weil ich es nicht zu leicht machen wollte und weil ich denke, dass kaufmännische Schüler auch in der Lage sein müssen aus einer Fragestellung zu erkennen, wie viele Antworten richtig sind. Steht da (siehe Aufgabenbeispiel oben): Welche Merkmale ... oder Welches Merkmal? - aber ich habe das aufgegeben wegen endloser Diskussionen und weil in den IHK-Prüfungen die Anzahl der Lösungen ebenfalls bekannt ist. Also schreibe ich nun zu jeder Aufgabe neben den Punkten A1, wenn eine Antwort richtig ist, A2, wenn zwei Antworten richtig sind usw. Das hilft den Schüler/innen in ihrer Aufregung und erleichtert Klassenarbeitsdurchführung (Rückfragen) und -rückgabe.
Wie korrigiert man MC-Aufgaben?
In jedem Fall druckt man sich die Schüleraufgaben mit Lösungen genau in derselben visuellen Form aus, wie die Schüler/innen sie bekommen haben. Nach wenigen Klausuren kennt man das Muster und kann schneller korrigieren.
Manche Lehrer/innen erstellen die Klausuren am Rechner und prüfen sie auch am Rechner ab. Das spart noch mehr Zeit. Hier habe ich einen Artikel dazu gefunden: Klassenarbeit 2.0 Ein Freiburger Lehrer lässt Online-Prüfungen schreiben.
Ich bin nicht für dieses Verfahren: Während ich meine Klausur korrigiere, kann ich auch bei MC sehen, welche Aufgaben den Schüler/innen Schwierigkeiten machen und mich intensiver damit befassen, woran das liegen könnte. Beim Onlineverfahren sehe ich zwar auch die durchschnittlichen Ergebnisse der Schüler/innen pro Aufgabe, aber ich befürchte, dass man sich nicht mehr genau mit den Aufgaben befasst, weil man so viel Freude an der effizienten Verfahrensweise hat. Aber vielleicht ist das auch nur ein Vorurteil.
Wie geht man mit der Kritik der Schüler/innen an MC-Fragen um?
Sie gelten lassen. Meist ist sie wahr. Die Kritik richtet sich oft darauf, dass man nicht alle Details, die in den MC-Aufgaben vorkommen, genau so behandelt oder im Heft stehen hat. Das geht auch gar nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit. Natürlich nimmt man keine Fragen in die Klausur, die man nicht behandelt hat. Aber bei IHK-Prüfungsfragen besteht immer das Risiko, dass bei den Antworten Details dabei sind, die so nicht besprochen wurden. Die Schüler/innen müssen lernen mit solchen Details umzugehen und durch Ausschlussverfahren dennoch die richtige Antwort zu finden. Das klingt irgendwie ungerecht, aber es ist weitblickend. Genau dasselbe wird den Schüler/innen in der Prüfung passieren und wenn sie es vorher trainiert haben, dann kommt es in der Prüfung nicht überraschend und im Idealfall haben sie eine eigene Strategie entwickelt.
Wie bringt man den Schüler/innen bei, wie sie bei der Lösung vorgehen sollen?
Gute Frage. Nächste Frage. Die allerwichtigste Strategie ist: Alles genau durchlesen. Bis zum Schluss. Die meisten Fehler entstehen, weil die Schüler/innen die Aufgabenstellung nur zur Hälfte lesen, dann denken, sie wüssten schon, wie die Lösung aussieht und dann - ohne die Antworten bis zum Ende zu lesen - die erste einigermaßen richtig erscheinende Antwort ankreuzen. Hier gegen hilft evt. ein Textmarker, der sie daran erinnert, dass sie diesmal alles durchlesen wollen und die wichtigsten Stellen erst mal anmarkern, bevor sie eine Auswahl treffen. Grundsätzlich ist Textverständnis wichtig und alles was das Textverständnis trainiert, trainiert auch die Fähigkeit MC-Aufgaben zu lösen.
Es gibt ein weiteres Phänomen bei MC: Die Antwort, die dem Schüler zuerst in den Kopf kommt, ist meist die Richtige. Das gilt natürlich nur, wenn er den Stoff gelernt hat. Wenn er später Zeit hat und noch einmal über der Frage brütet, dann wird er in vielen Fällen die falsche Antwort ankreuzen. Schüler beginnen dann um die Ecke zu denken und kritisch zu hinterfragen, was - zumindest bei unseren IHK-Aufgaben - nicht sinnvoll ist. So sind sie nicht konstruiert. Deshalb lautet ein guter Rat: Lass die erste Antwort stehen, hinterfrage nicht zu viel. Abiturienten, die gelernt haben, kritisch zu denken, tun sich bei diesen Fragen sehr viel schwerer als Realschüler, das ist bei mir jedenfalls eine Tatsache.
Ansonsten kann man den Schüler/innen nur raten: Prüfungsbücher beschaffen (vielleicht zu mehreren) und üben, üben, üben. Denn MC kann man genau so lernen wie viele andere Sachen.
Zusammenfassung: MC - was spricht dafür, was dagegen?
Pro MC
- Korretkturaufwand
- Objektiv und vergleichbar
- Muss für die Zwischen- und Abschlussprüfungen geübt werden
- Werden viel in Einstellungstests bei Firmen verwendet (also gut, wenn man sie geübt hat)
Contra MC
- Lösung sieht so aus, als wäre sie nur richtig oder nur falsch. Erklärungen des Schülers, wie er sie versteht, sind nicht möglich.
- Es gibt keine Lösungsansätze, die bewertet werden können.
- Es wird viel Textverständnis abgeprüft. Schwer für Schüler/innen, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben.
- Da hier auch ein blindes Huhn das ein oder andere Mal ein Korn findet, nivellieren MC-Tests. Die schlechten Schüler werden tendenziell besser, die guten tendenziell schlechter.
- Manche Aufgaben prüfen Spitzfindigkeiten ab. Manchmal einfach nur, weil es schwer ist zu diesem Thema eine MC-Aufgabe zu erstellen.
Wie sieht mein Lösungsweg aus?
Wie so oft gehe ich den Mittelweg: Ich nehme in der Berufsschule in den Fächern mit MC-Prüfungen ca. 20 MC-Aufgaben und füge zwei bis vier offene Fragen hinzu. Begründung: Ihr zukünftiger Chef kommt auch nicht auf Sie zu mit der Aufgabe: Suchen Sie mir mal den besten Lieferanten heraus für Druckerpapier. Ist es a) Lieferant Meyer aus Dortmund mit einem Listenverkaufspreis (LVP) von 19,50 € und 20% Rabatt oder b) Lieferant Müller aus Düsseldorf mit einem LVP von 17,20 € und 5% Rabatt oder c) Lieferant Schmidt aus Essen mit einem LVP von 21,50 €, einer sehr guten Qualität und hohen Lieferzuverlässigkeit?
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen
a) ein schönes Wochenende oder
b) ein erfolgreiches Klausurvorbereiten oder
c) ein schnelles Klausur korrigieren.
Bitte ankreuzen!
Herzliche Grüße
eure Ute Matthias
P.S. Kommentare und weitere Anregungen zum Thema sind ausdrücklich erwünscht!
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