Die Geschichte heute ist ein wenig Off-Topic, da es nicht um einen Lehrer, eine Lehrerin geht. Aber in meiner Storytelling-Facebook-Gruppe hat ein Gruppenmitglied darum gebeten, dass wir eine Geschichte für ihn schreiben, bei der wir jemandem geholfen haben. Im ersten Moment habe ich gedacht: "Hm, klingt nach Selbstbeweihräucherung, ist mir peinlich. Aber dann hat der Coach in mir gesiegt, der gerne zeigen möchte: Coaching hilft!"
Der Job macht Alessia krank
Ich sehe Alessia regelmäßig einmal im Jahr. Jedes Mal sieht sie kranker aus. Angestrengt, ihr schöner Mund wirkt zusammengepresst. Um ihn herum haben sich strenge Falten gebildet. Die türkisblauen Augen sehen traurig aus.
Ihr Job macht Alessia fertig. Die ersten Jahre berichtet sie viel davon, dann immer weniger, im letzten Jahr will sie gar nicht mehr darüber sprechen.
Sie ist die rechte Hand vom Chef und ungeheuer tüchtig. Zuverlässig. Stressresistent. Ein Organisationstalent. Der Chef kann nicht auf sie verzichten und das sagt er ihr auch. Bei mehreren Unternehmenswechseln hat er sie mitgenommen. Der Chef kann nicht ohne Alessia und Alessia geht mit.
Kannst du mir helfen?
Alessia ist meine Freundin und eines der ersten Dinge, die ich in meiner Coachingausbildung gelernt habe, ist, man coacht keine Freude. Da hat man Eigeninteressen, da ist man kein leeres Blatt. Kurz nach Weihnachten 2015 bin ich bei ihr zu einem Wochenendbesuch und erzähle ihr begeistert, was ich gerade in meiner Coachingausbildung mache. Welche Methoden wir kennenlernen, wie die Gruppe so ist, dass wir uns schon am ersten Wochenende gegenseitig coachen mussten und wie aufregend das alles für mich ist. Ich sprühe vor Energie, die Coachingausbildung ist ein Lebenstraum von mir.
Sie fragt mich: "Könntest du mich coachen? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin total unzufrieden mit meiner beruflichen Situation, aber ich kann nicht kündigen."
Ich zögere. Denke an das, was uns unser Trainer Manuel Tusch beigebracht hat. Aber ich bin auch so inspiriert von der Ausbildung, den Methoden und all dem, was ich gelernt habe. Am Ende sage ich zu. Ich tu's einfach, es entspricht mir. Ich helfe gerne Menschen und wenn Alessia glaubt, ich könnte auch ihr helfen, dann tue ich das.
Glaubenssatzchoaching
Ich entscheide mich fürs Glaubenssatzcoaching. Glaubenssätze sind Gedanken, die tief in uns verankert sind und von denen wir glauben, dass sie wahr sind. Oft sind sie uns nicht bewusst, dennoch prägen sie unser Fühlen, Denken und Handeln. Erziehung und Erfahrung prägen das, was wir über uns selbst denken und oft ist das auch der Schlüssel, wenn wir selbst das Gefühl haben, dass wir irgendwie gehemmt, gebremst oder blockiert sind in Bezug auf ein bestimmtes Problem.
Ich frage Alessia, was sie heute hier im Coaching erreichen möchte. Sie wünscht sich eine Klärung. Warum fühlt sie sich nicht in der Lage den Job, der ihr nicht gut tut zu kündigen? Wie kann sie etwas daran ändern?
Ich lasse sie eine Situation schildern, in der sie ihre Arbeit als negativ empfindet und an eine Kündigung denkt. Welche Gefühle hat sie in dieser Situation? Was passiert in ihrem Körper, wenn sie an diese Situation denkt. Wir gehen ganz tief in dieses Gefühl hinein.
Ich frage sie: "Wann ist dieses Gefühl zum ersten Mal bei dir aufgetaucht?"
Und dann haben wir die auslösende Situation: Eine Situation aus der Kindheit. In einer für Alessia sehr negativen Familiensituation, aus der sie gerne ausgebrochen wäre, wusste Alessia: "Ich darf Mama nicht alleine lassen. Ich darf nicht gehen." Und genau diese Situation triggert, wenn der Chef sagt: "Frau Russo, Sie sind unentbehrlich für mich, Sie müssen bleiben."
Wenn wir unsere Glaubenssätze kennen, dann können wir sie verändern.
Wir sprechen noch ein wenig über diesen Glaubenssatz. Alessia fühlt hinein, überlegt, würdigt diesen Satz, der ihr einmal Vorteile gebracht hat. Dann beginnt sie langsam, ihn zu verändern.
Was würde sie gerne stattdessen über sich denken?
Am Ende steht der neue Glaubenssatz: Ich darf gut für mich sorgen.
Daraus folgt: Wenn ich mich beruflich neu orientieren möchte, darf ich kündigen. Ich darf meinen Chef alleine lassen.
Wir beenden das Coaching mit der Vereinbarung von Erinnerungshilfen. Alessia will ihr Passwort ändern in "Kündigung" und sich ein Zwischenzeugnis beim Arbeitgeber ausstellen lassen. Außerdem will sie eine andere Freundin vor Ort bitten, sie an ihre Vorsätze zu erinnern.
2017 hat Alessia gekündigt
Wir schreiben jetzt das Jahr 2018. Ende 2017 hat Alessia gekündigt. Coaching wirkt nach, schwere Entscheidungen lassen sich nicht von heute auf morgen treffen. Aber Alessia hatte kein schlechtes Gewissen mehr ihrem Chef gegenüber. Sie ist seit Mai zuhause, erholt sich und baut eine eigene Selbstständigkeit als zweites Standbein auf. Nach ihrer Ausbildung zur Yogalehrerin, gibt sie Yogakurse in ihrem eigenen Studio und führt gestresste Menschen in die Kunst der Meditation ein. Jetzt, nach 6 Monaten, will sie sich auch wieder im Büro bewerben, wenn auch nicht mehr in der gleichen Position.
Und falls sie doch wieder in der gleichen Art Job landen sollte, dann weiß sie jetzt: "Ich darf meinen Chef alleine lassen. Ich darf kündigen."
Was ist die Moral von der Geschichte?
Wenn ich das Gefühl habe, ich bin in einer ausweglosen Situation, dann könnte es sein, dass mich ein Glaubenssatz hindert, der gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun hat. Ich kann hingucken und ihn ändern. Und damit ein Stück Freiheit gewinnen. Habt ihr auch schon einmal solche Erfahrungen gemacht?
Ich grüße euch ganz herzlich
Eure Ute
Kommentar schreiben