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Zuhören hilft!

Vor der Tür zu unserem Beratungslehrerzimmer steht ein zartes Mädchen, den Kopf gesenkt, vorsichtig lächelnd. Die Klassenlehrerin hat sie zu mir geschickt, weil sie so schlechte Noten schreibt, so ängstlich und zurückhaltend auftritt, so wenig selbstbewusst wirkt. Diagnose: Prüfungsangst.

 

In der ersten Stunde lernen wir uns ein wenig kennen. Aida hat vier Geschwister, eins davon ist ihre Zwillingsschwester. Ihre Mutter ist alleinerziehend und depressiv nach einer unschönen Trennung. Das Geld ist knapp, Niemand hat wirklich Zeit für Aida. Sie ist ein trauriges Mädchen, fühlt sich ungeliebt und zieht sich zurück.

 

Geschichten wie diese höre ich oft. Sie tun mir leid, diese Kinder, die sich so einsam fühlen und glauben funktionieren zu müssen, damit sie ihre Eltern nicht noch mehr belasten. Sie schonen ihre Mütter und leiden selbst. Die Mütter tun mir auch leid, denn es ist hart ohne Partner und mit wenig Geld fünf Kinder aufzuziehen. Ich kann mich noch gut erinnern wie herausfordernd ich zwei Kinder fand. Und ich war in einer privilegierten Situation mit ausreichend Geld und einem - zumindest zeitweise - anwesenden Vater.

 

Das Mädchen Aida schweigt. Ich will wissen, ob sie eine Leidenschaft hat, etwas wofür sie brennt. Wenn Schüler mit Prüfungsangst zu mir kommen, versuche ich - neben den Techniken, um dagegen anzugehen - mit den Schülern zu überlegen, wie sie es schaffen können, etwas in ihrem Leben zu installieren, was ihnen Freude macht. Wenn das Leben nur aus Hausarbeit, deprimierendem Sitzen im Kinderzimmer und Schule besteht, dann kann man sich schwer aufraffen, sich gut auf Klassenarbeiten vorzubereiten. Der Kopf ist zu voll mit negativen Gedanken.

 

Aida schwärmt fürs Tanzen, sie möchte gerne Bollywood Tänze lernen, aber sie traut sich nicht. Versteckt sich hinter negativen Erwartungen. Was, wenn es keine Gruppe in ihrer Nähe gibt? Was, wenn sie dort nicht mittanzen darf? Was, wenn es Geld kostet und sie es sich nicht leisten kann, die Mutter es verbieten wird?

 

Ich versuche kleine Schritte mit ihr zu gehen: Vom ersten Termin zum nächsten soll sie nur herausfinden, ob es eine Gruppe in ihrer Nähe gibt. Es gibt eine. Beim nächsten Mal, soll sie anrufen und einen Probetermin vereinbaren. Das schafft sie nicht. Was, wenn sie dort nicht mitmachen darf? Ich bitte sie anzurufen. Sie braucht nicht hingehen, sie soll nur anrufen. Das schafft sie. Es werden noch viele Termine nötig sein, bevor Aida sich aufmacht, wirklich hinzugehen.

 

Das Problem ist, so viele Termine kann ich nicht anbieten. Wir haben viele Aidas, d.h. Schüler/innen, die jemanden brauchen, der ihnen zuhört, der sie ermutigt und ein kleines Stück Weg mit ihnen geht. Ich bin sicher, dass das auch viele andere Lehrer/innen tun können und auch tun. Wenn die Familien immer mehr auseinanderbrechen, wenn der oder die Alleinerziehende die Normalität wird, dann brauchen Familienmitglieder Unterstützung.

 

Ich erlebe das jeden Tag. Als Klassenlehrerin, als Beratungslehrerin und auch als Fachlehrerin in den Sominoten-Gesprächen. Junge Menschen brauchen ein Ohr, jemand der zuhört, wenn man in Not ist, jemand, der einen ein Stück weit begleitet, wenn man alleine nicht weiter weiß. Als Lehrer/in hat man die Gelegenheit dazu und ich finde es schön, wenn man sie wahrnimmt. Es tut gut zu sehen, wenn eine Aida dann weitergehen kann, ihre Ressourcen erkennt und nutzt und vielleicht sogar mal eine Bollywood Tänzerin wird.

 

Im Coaching nennt man das Spiegeln und Kamelstrategie (von Oase zu Oase). Ich habe Aida ein Stück weit begleitet und wenn sie es schafft, den nächsten Schritt zu gehen, dann kann ich ihr vielleicht irgendwann noch einen kleinen Schubs geben. Gehen muss sie allerdings selbst.

 

In diesem Sinne ein schönes Wochenende!

Bei uns in NRW liegen die letzten beiden Schulwochen vor uns,

viel Kraft noch allen Kolleginnen und Kollegen,

Herzliche Grüße

Ute Matthias

 

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