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Fallgeschichte individuelles Zeitmanagement: Die gewissenhafte Persönlichkeit

In der Reihe "Zeitprobleme sind individuell" stelle ich Ihnen heute eine gewissenhafte Persönlichkeit vor. 

 

Es ist einfach nie perfekt!

Marlen Meister (Name geändert), Referendarin an einem Gymnasium, Deutsch und Geschichte stöhnt: "Ich komme überhaupt nicht mehr zum Schlafen! Ich sitze abends bis 24 Uhr an meiner Vorbereitung und es ist einfach nie wirklich so, wie ich es gerne hätte. Morgens schleppe ich mich unausgeschlafen zur Schule, mache meinen Unterricht, teile die Arbeitsblätter aus, die ich erstellt habe und schäme mich, dass die Zeichnungen doch nicht so genau passen, dass ich mir nicht überlegt habe, wie viele Zeilen Zwischenraum ich auf dem Arbeitsblatt lassen muss. Denke, ich hätte doch noch die andere App ausprobieren sollen und bin einfach nur unglaublich müde ..."

 

"Gestern habe ich im Unterricht sogar geweint, als eine Schülerin sagte, das sei aber ein blödes Arbeitsblatt, das verstehe sie überhaupt nicht. Ich habe mich vorne hingesetzt und geweint, weil ich wusste, sie hat recht. Ich habe es wieder nicht richtig hingekriegt. Obwohl ich mir so viel Mühe gegebene habe."

 

Marlens Ziele

Marlen ist 32 Jahre alt, hat dieses Jahr mit dem Ref angefangen und ist kurz davor, es hinzuschmeißen. Aber nicht, weil sie die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen nicht mag. Sie schafft es einfach nicht, so berichtet sie, ihre Zeit so einzuteilen, dass sie ihre eigenen Ziele erreichen kann. Und dabei hat sie das Gefühl, sie gibt alles. Sie ist zu mir gekommen, weil sie wissen möchte, wie sie ihre knappe Zeit so einteilen kann, dass sie auch die Ergebnisse erzielen kann, die sie sich wünscht. 

 

Als ich ihr so zuhöre, steigt in mir der Gedanke auf, dass die Ziele, die sie sich steckt, sehr hoch sind. Und so lasse ich sie zunächst einmal aufschreiben, was genau ihre Ziele sind:

  • Arbeitsblätter sollen selbsterklärend und optisch ansprechend sein. Die Schüler*innen lesen sie und erkennen sofort, was zu tun ist.
  • Der Unterricht soll modern sein und immer die passenden digitalen Tools beinhalten.
  • Sie will ihr Referendariat möglichst mit 1 abschließen.
  • Die Schüler*innen der Klasse sollen sie als absolut fachkompetent wahrnehmen.

"Ich will super sein!"

Ich frage sie, für wie realistisch sie es hält, dass sie diese Ziele erreichen kann. Alle gleichzeitig. Sie seufzt: "Das ist wohl nicht realistisch. Aber ich wünsche es mir so sehr. Was kann ich nur tun? Mir reicht es eben nicht, wenn meine Arbeit nur zu 80% gut ist. Sie muss 100% sein, am besten 120%, damit ich mit mir zufrieden bin. Ja, ich gebe es zu, ich bin vielleicht ein wenig perfektionistisch. Aber ist das nicht gut? Die meisten anderen, die ich kenne, denen reicht es, wenn sie es so einigermaßen hinkriegen. Sie haben gar keine Ambitionen. Aber ich will nicht nur gut sein, ich will super sein!

 

Ein kleines Experiment

Ich lade Frau Meister zu einem Experiment ein. Zunächst tut sie sich ein bisschen schwer, sich einzulassen, aber dann lässt sie sich doch darauf ein.

 

"Frau Meister, wie Goethe immer schon sagte: "Es wohne ach zwei Seelen in meiner Brust", gehen wir heute davon aus, dass in jedem Menschen mehrere Persönlichkeitsanteile wohnen. Der Perfektionismus, von dem Sie sprechen, ist ein Teil von Ihnen. Aber Sie sind nicht der Perfektionismus. Es gibt noch andere Teile in Ihrem Inneren. Heute wollen wir aber den Perfektionismus einmal in den Fokus nehmen. Welchen Namen kann denn Ihr Perfektionismus vielleicht haben?"

 

Sie überlegt eine Weile. Dann sagt sie: "Nennen wir ihn Den Kämpfer."

 

Ich stelle zwei Stühle einander gegenüber und schreibe auf Moderationskarten, die ich auf die Stühle verteile: 

 

"Marlen Meister" und "Der Kämpfer".

 

Dann bitte ich Frau Meister zunächst auf ihrem Stuhl Platz zu nehmen. 

 

"Frau Meister, Ihnen gegenüber sitzt nun "Der Kämpfer". Erzählen Sie mir doch einmal, wie er aussieht. Wie sitzt er da? Wohin schaut er?"

 

Frau Meister hat etwas Startschwierigkeiten, kann aber dann beschreiben, dass "Der Kämpfer" kerzengerade auf seinem Stuhl sitzt und sie streng ansieht. 

 

"Was möchten Sie ihm denn gerne sagen?"

 

Was möchte der perfekte Anteil von Frau Meister bewirken?

Es entspinnt sich nun ein Gespräch zwischen Frau Meister und ihrem perfekten Anteil, indem ich sie anleite, immer wieder die Seiten zu wechseln, sodass sie einmal aus ihrer Warte mit dem Perfektionismus spricht und einmal aus der Warte des Perfektionismus mit der Person Marlen Meister. Auf diese Weise finden wir heraus, was die Ziele dieses Persönlichkeitsanteils sind. Anteile in uns handeln in aller Regel positiv für uns, sie wollen also etwas Gutes für uns erreichen. In diesem Fall zeigt sich, dass es ein Anliegen des Perfektionismus-Anteils ist, dass Frau Meister nirgendwo aneckt. Es ist wichtig, dass sie alles richtig macht, weil es Liebe in der Familie nur auf dem Wege der perfekten Leistung gab. Für Frau Meisters Vater war alles, was sie machte immer nur fast gut, es ging noch besser. Und nur wenn es noch besser war, war der Vater zufrieden und lobte Marlen. Dies alles zeigte sich im Zwiegespräch mit dem perfekten Anteil. 

 

Nachdem dies alles offenbar wurde, bitte ich Frau Meister, sich bei ihrem perfekten Anteil zu bedanken, dass er bisher alles getan hat, damit sie nicht aneckte. Und sie darf ihm sagen, dass sie nun aber einmal neue Wege gehen würde und ihn erst einmal in Urlaub schickt für die nächsten sechs Monate. 

 

Der fürsorgliche Persönlichkeitsanteil als Hilfe

Ich frage sie, welcher Anteil ihr denn vielleicht helfen könnte, entspannter mit ihrer Arbeit umzugehen. 

 

Nach längerem Nachdenken taucht "Die Fürsorgliche" aus ihrem Team auf. Mit Hilfe dieses Persönlichkeitsanteils findet Frau Meister Ansatzpunkte für einen neuen Umgang mit der Zeit. Am Ende der Sitzung stehen folgende Punkte auf dem Flipchart, die sie ausprobieren möchte:

  1. Sie beendet jetzt ihre Arbeit jeden Tag spätestens um 22 Uhr. 
  2. Sie nimmt sich einen Tag pro Woche frei und geht dort ihren Hobbys und dem Haushalt nach. 
  3. Sie sagt sich mehrmals am Tag den Satz, den sie für sich ausgesucht hat: "Gut ist gut genug." 
  4. Sie wird bewusst ein Arbeitsblatt entwickeln, das unperfekt ist im Hinblick auf das Design, keine Zeichnungen beinhaltet, sondern sich wirklich auf das Wesentliche beschränkt. Sie setzt es in einer Klasse ein und in der Parallelklasse, das relativ perfekte Pendant. Und sieht sich dann an, was die Schüler*innen dazu sagen. Möglicherweise macht es ja gar keinen Unterschied für sie. 
  5. Sie kauft sich einen Engel-Schlüsselanhänger für Haustür- und für Schulschlüssel als Symbol für den fürsorglichen Persönlichkeitsanteil in sich. 

Sie sagt, sie hält den zweiten Punkt für am meisten herausfordernd für sich. Ich bitte sie, sich einen wirklich schönen Kalender mit Platz für Notizen für jeden Tag zuzulegen und dort ihre Vorsätze zu notieren. Außerdem soll sie jeden Tag Bilanz ziehen in einigen Worten und alles, was gut funktioniert hat, notieren. 

 

Wir verabreden uns wieder für in vier Wochen. So hat Frau Meister Zeit, ihre Vorsätze auszuprobieren, wie tauglich sie sind und wo vielleicht noch nachjustiert werden muss. 

 

Sind Sie auch ein gewissenhafter Typ?

Falls Sie auch rausfinden wollen, wie hoch Ihre gewissenhaften Persönlichkeitsanteile ausgeprägt sind, geben Sie einfach DISG-Test in die Suchmaschine ein, dann finden Sie verschiedene Anbieter. Zum Beispiel hier. Bedeutsam ist vielleicht noch, dass Sie sich vornehmen, den Test vor dem Hintergrund Ihrer beruflichen Situation zu beantworten, wenn es um berufliche Zeitprobleme geht. Die Testergebnisse variieren je nachdem, ob Sie Ihre berufliche Rolle oder ihre private Rolle als Hintergrund sehen. 

 

Nun wünsche ich Ihnen schöne Herbstferien und grüße Sie herzlich

Ihre Ute Matthias

 

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